Überlegungen zur Inzucht
Inzucht löst bei vielen Menschen Angst, Abneigung, sogar Ekel vor dem Genuss von Kaninchenfleisch aus, wenn Tiere aus der Inzucht stammen. Der Begriff Inzucht verursacht wohl auch deshalb Schrecken, weil mit ihm die "Blutschande" (Inzest) noch als etwas grundsätzlich Abzulehnendes verbunden ist.
Die allgemeine Tierzucht kommt ohne die geschlossene Zucht, wie Linienzucht auch genannt wird, nicht aus. Sie stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Tierforschung. Das Wissen unsere Züchter und praktizieren vielfach die Linienzuchten oder die Verwandtschaftszucht - die mäßige Inzucht. Hierbei sind die zu verpaarenden Ausgangstiere ferne Verwandte. Diese Form wird teilweise unbewusst praktiziert und bleibt bei unserem Thema etwas im Hintergrund, weil wir uns ja der eigenen geschlossenen Zucht widmen wollen, nämlich der
Engen Inzucht, ist die Zuchtbasis, bei der als Ausgangstiere und zur Weiterführung der Zucht
Nichte x Onkel, Tante x Neffe, Cousine x Cousin, Geschwister miteinander verpaart werden. (Koeffizient 2 - 4)
Engsten Inzucht (Inzest) - Dieser Status ist gegeben, wenn
Eltern x Kinder, Großeltern x Enkel miteinander verpaart werden. (Koeffizient 1)
Der Koeffizient verweist auf die blutsverwandte Nähe/Weite der zur Zucht verwendeten Tiere.
Für die eigene, intensive Zuchtarbeit bedeutet das Züchten in Linie: Auf kürzerem Weg erfasst der Züchter die genetischen Anlagen seiner Tiere, ist schnell in der Lage gewünschte Erbeigenschaften zu festigen und in der Zucht zu nutzen, die Stabilisierung der Vitalität, Reduktion krankmachender Eigenschaften und Anlagen (z. B. Anomalien) sowie die Reinerbigkeit der gezüchteten Rasse zu forcieren.
Für den Aufbau von Linienzuchten, ist es günstig, blutsverwandte Tiere einzusetzen. Je enger der Verwandtschaftsgrad, um so ähnlicher werden sich die Tiere hinsichtlich ihres erbbiologischen Vermögens. Studien der verschiedenen Fortpflanzungsarten und Vergleiche der Nachkommen untereinander und mit ihren Vorfahren führten zu zwei wesentlichen Beobachtungen und lassen die als sicher geltenden Schlussfolgerungen zu: Nachkommen sind ihren Eltern und Geschwistern untereinander weitaus ähnlicher als nichtverwandte Tiere. Diese Ähnlichkeit ist auf keinen Fall mit einer Gleichheit zu verwechseln. Diese starke Ähnlichkeit drückt sich darin aus, dass mehr gleiche und sehr ähnlich ausgebildete Erbeigenschaften zwischen eng verwandten Tieren nachzuweisen sind als bei entfernteren oder gar nicht verwandten Individuen. Das betrifft beispielsweise die Merkmale der Kennzeichnung des Lebewesens (Rassespezifika) und Eigenschaften des Körperbaus (Konstitution), des Verhaltens (Nestpflege), der Leistung (Wurfstärke, Säugeleistung, Wollleistung) und der Lebensfunktionen (Vitalität).
Wie erklärt sich das?
Wenn man zwei engverwandte Tiere miteinander verpaart, wird die (Erb-)Folge eine weitere Festigung der gewünschten Anlagen sein. Sind z. B. die zu verbessernden Eigenschaften im Rahmen der Rassemerkmale verbesserungswürdig, so werden und müssen sich diese in der F1 vergleichsweise zur Elterngeneration noch weiter gefestigen. Letztendlich führt diese auserlesene Reinerbigkeit im weiteren Verlauf der Zucht innerhalb einer Familie/Linie zu einem Dominanzverhalten der gewünschten Merkmale.
Erklärbar ist dies, weil keine neuen unerwünschten Anlagen durch ein Einkreuzen fremder Tiere hinzukommen. Die Auslese der in der Zucht verbleibenden Tiere erfolgt wieder nach den Kriterien der Ähnlichkeit und dem Zuchtziel. So entstehen nach und nach dominant-erbfeste Zuchtstämme. Und wenn sich so ein Prozess gebildet hat, nennen es die Wissenschaftler "Individualpotenz" (potens kommt aus dem Lateinischen und bedeutet wirksam, beherrschend, mächtig). Auf unsere Zuchten bezogen bedeutet dies: Es werden Tiere herangezogen, die einen sicheren Erbwert an ihre Nachkommen weitergeben.
Vor den Erfolg ist die Arbeit gestellt
"Inzucht" ist kein Zauberwort, sondern eine gute Zuchtmethode, wenn sie mit Sachverstand und geplant begonnen und durchgeführt wird. Mit wahllos zusammengewürfelten Ausgangstieren und unkontrollierten Zuchtanfängen, bei denen der Überblick verloren geht, sind kein guter Start. Wird die Linienzucht dann noch über mehrere Generationen hinaus mit wenig erforderlichen Mühen züchterischer Beobachtung und Auslese praktiziert, ist eine Inzuchtdepression mit der Schwächung der Konstitution, der Lebenskraft und/oder der Fruchtbarkeit ganz schnell zu erwarten.
Mit der Entscheidung für die Zuchtform "Linienzucht" stellt sich der Rassekaninchenzüchter eine anspruchsvolle Aufgabe, die ihm eine Portion Fachwissen, viel Engagement, Lust und Liebe zur ernsthaften Rassekaninchenzucht sowie Konsequenz und Ausdauer abverlangen. (Fortsetzung: Teil II)