Wie man es nicht machen sollte
In Ausstellungen halten sehr viele Besucher Ausschau nach Tieren zum Zweck der Erweiterung, der Verbesserung oder für den Beginn ihrer Hobbyzucht. Wie man es jedoch nicht machen sollte, gucken wir uns einmal beim Züchter Heinrich an:
Nix ist dem alten Hasen für seine Rassekaninchenzucht zu teuer und so sind Besuche großer Kaninchenschauen für ihm ein Muss. Er ist kein Aussteller, nein Heinrich kauft.
Eheweib Else weiß dabei längst: Es beginnt ein Leidensweg wie in all den Jahren zuvor, der mit Heinrichs erneutem Kaninchenkaufwillen im nächsten Jahr endet und gleichfalls neu beginnt ...
Katalog gekauft, die Rasse rausgesucht: "Donnerwetter, dat issa, der Rammler mit siemunneunzigkommafünf, gucke ma Else, den koof ma".
Heinrich kauft unbesehen, Else dagegen guckt sich "den neuen Fresser" für den heimatlichen Stall genauer an. Bis auf den halben Punkt mehr auf der Bewertungskarte dieses Favoriten erkennt sie keinen Unterschied zu dem Vorjahrestier.
Kauf nach Katalog, hier ein fiktives Beispiel, aber ich habe es in ähnlicher Art -zigmal miterlebt. Die Folgen solcher Spontankäufe sind nicht fremd. In einer Ausstellung stehen erwartungsgemäß die besten Tiere, die vom Züchter eigens für Ausstellungen auserlesen wurden. Erfahrene Züchter wissen längst, wie Tiere (ohne dabei unerlaubte Handlungen zu begehen) schaufertig gemacht werden, damit die Schönheit des Tieres unterstrichen wird. Topp- Haltungsbedingungen tun ein Übriges, gezielte Fellpflege und bestimmte Futterzusätze beeinflussen den Zustand und den Glanz des Felles positiv. Nicht zuletzt dressieren erfahrene Züchter ihre Tiere für den Bewertungstisch. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn es gehören nur gepflegte und gesunde Kaninchen in eine Ausstellung. Wenn diese sich zusätzlich nicht vor der Preisrichterhand ducken und sich in Positur setzen, hat der Züchter sehr gute Arbeit geleistet.
Ein solches Tier hat unser Heinrich eben gekauft, um wieder einmal von vorn zu beginnen. Nie hatte Heinrich Glück, obwohl er bei den zahlreichen Käufen dem Urteil des Preisrichters traute.
Hat Heinrich da was falsch gemacht?
Im ersten Augenblick hat er nichts falsch gemacht, denn wer nicht den Blick für den Rassewert eines Tieres hat, sollte sich bei einer Entscheidung ruhig von Beurteilungen des erfahrenen Preisrichters ein wenig leiten lassen. Aber ein Preisrichter beurteilt mit fachlicher Kompetenz immer nur Einzeltiere einer ausgestellten Sammlung in ihrer Entwicklung, Kondition, Konstitution, Rassespezifik, nicht deren ungesehenen Ahnen, auch nicht die Geschwister, die möglicherweise fehlerstrotzend auf der Schlachteliste stehen.
Das ist nicht übertrieben, weil uns bei bestimmten (Zeichnungs-)Rassen oft schon trotz des Sachverstandes das Glück sehr hold sein muss, damit wir eine ausgeglichene Sammlung ausstellen können.
Den Preisrichter trifft keine Schuld, wenn Heinrich erneut eine Schlappe erleben muss. Dem Züchter muss Heinrich ebenfalls nicht grollen.
Unserem Heinrich muss allerdings angelastet werden, er erwartet "fertige Arbeit", wenn er sich von dem Einsatz eines neuen Zuchtrammlers sofort eine erfolgreiche Nachzucht verspricht. Nicht bloß des Vaters äußeren Merkmale werden vererbt! Da sind verborgene, negative Erbanlagen, die, wenn sie auch im Gencode von Mutter Kaninchen enthalten sind, sichtbare negative Folgen bewirken können.
Ein wenig arbeiten muss unser Heinrich da, um herauszufinden, welche positiven und negativen Merkmale er da mit seinem neuen 97,5-Tier eingekauft hat.
Welchen Gefahren hatte sich Heinrich denn nun mit seinen vielen Neukäufen ausgesetzt?
1. Vorrangig sind es genetische Probleme.
2. Hinzu kommen die Gefahren des Einschleppens von Krankheiten.
Das größte Handicap ist also das Verschleiern und Vermischen von Erbanlagen, so dass nicht gleich der erste Wurf eine Aussage über die Güte der neuen Verpaarung zulässt.
Heinrich hat mit einer Zucht begonnen, aber der Erfolg bleibt aus. Die Jungtiere kommen im Wachstum nicht voran, ihre Körperbeschaffenheit (Konstitution) und Skelettbildung lassen Wünsche offen, ihr junges Fellchen weicht vom Längenverhältnis der gegebenen Rasse ab und/oder weist Fehlfarben auf, die Silberung ist flockig (ungleichmäßig oder in Büscheln). Gegebenenfalls treten Zahn- oder Geschlechtsanomalien auf, obwohl keine blutsnahe Zuchtmethode praktiziert wird und degenerative Momente in Betracht zu ziehen wären. Bei den Nachkommen verändern sich Wesensmerkmale, zum Beispiel können Bissigkeit, Wildheit oder enorme Scheu solche Wesensveränderungen sein. Diese Negativbeispiele sollten genügen.
Absichtlich wollte ich hier jene Vererbungsgrundlagen mit einem Schuss Übertriebenheit anklingen lassen, die in der Züchtersprache leider noch keinen hohen Stellenwert haben, dabei jedoch in der Vererbung eine wichtige Rolle spielen. Mit diesen Beispielen ist dieses Thema zwar nicht erschöpft, weil nicht alle Fehler und niemals so grundsätzlich in einem ersten Wurf auftreten. Andererseits können sich diese Eventualitäten zunächst ins Positive kehren und erst in der zweiten Generation alle Glücksträume vernichten. Erinnert sei an die Fähigkeit der sich summierenden Gene (additive Gewirkungen), welche Rolle die DNS im Erbgeschehen spielt oder an die Möglichkeit der Heterosis bei der Zusammenstellung. Erfahrungsgemäß interessiert dies nur einzelne Zuchtfreunde, so dass ich die Erwähnung von Möglichkeiten als ausreichend erachte.
Fazit: Heinrich bedenkt bei seinen zahlreichen Neuanfängen durch Zukauf von Zuchttieren nicht, dass er seine Rechnung ohne die Kraft der Natur macht. Diese nämlich hat Gesetze, die es zu erkennen und ein ganz klein wenig zu verstehen gilt.
Statt der vielen Rammlerkäufe nach Bewertungspunkten wäre es ratsam, dass ein Züchter wie Heinrich einmal einen erfahrenen Züchter gleicher Rasse konsultiert. Es könnte ja auch der Besitzer des "Siemunneunzigkommafünfers" sein, mit dem er Probleme und Erfahrungswerte austauscht und sich von dessen Tiermaterial an Ort und Stelle ein Bild macht. Ehrlich sollten Probleme in der Zucht schon miteinander besprochen werden, damit Heinrich nicht eines Tages auf Grund seiner Unwissenheit kapitulieren muss und der Verband möglicher Weise einen offensichtlich interessierten Züchter verliert. (Auszug aus "Kaninchenvererbung" - gekürzt am 22.12.03)