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    Neuzüchtungen?

    Ja, aber mit Augenmaß.
    Nachdenkliches und Bedenkenswertes zum Thema


    Von Walter Hornung, Standard-Fachkommission des ZDRK


    Einleitung

    Um es gleich vorwegzunehmen: Die Erfahrungen des Jahres 2011/2012, von der BRS in Rheinberg bis zur Niederlegung dieser Gedanken im Februar 2012, d.h. des Jahres 1 nach dem Ende des fünfjährigen Zulassungsstopps, haben mich nachdenklich gemacht. Als ich noch auf der Suche nach einer geeigneten Einleitung zum Thema war, erhielt ich von einem Zuchtfreund folgende Mail:

    „Weißt du, ob es von Züchtern Bemühungen gibt, Zwergwidder mit Rex- bzw. Satinfell herauszuzüchten?? Wir haben einige Tiere, wo jetzt weiß BlA und schwarze im Nest liegen. Auch ein Rex-ZwW, röhnfarbig ist dabei. Sehen richtig gut aus die Kleinen. Farbziel ist aber in der Spaßzucht Rex bzw. Satin-Zwergwidder lohfarbig mit weißen Abzeichen (so wie bei den Hunderassen die Entlebucher). Einen haben wir schon von der Zeichnung her.“

    Angesichts der Tatsache, dass in der genannten Frist des „Jahres 1“ vier neue Rassen - nämlich Blaue Holicer, Genter Bartkaninchen, Löwenköpfchen und Thüringer-Rexe (letztere nach offizieller BLE-Zählung allerdings nur ein Farbenschlag der Rexkaninchen) – und fünf neue Farbenschläge als Neuzüchtungen zugelassen worden sind – nämlich Kleinschecken, wildfarben weiß, Deutsche Kleinwidder, weißgrannenfarbig schwarz, Farbenzwerge, havannafarbig-weiß und rot-weiß sowie Zwerg-Rexe, japanerfarbig (Weitere Anträge für hototfarbige Rexe und Zwerg-Rexe sind bereits angekündigt.) – und dies, obwohl die Hürden für die Zulassung einer neuen Neuzüchtung im Jahre 2007 deutlich erhöht worden sind, und angesichts des Faktums, dass in diesem Zeitraum nicht weniger als 145 neue Züchtungs- und Kennzeichnungsgenehmigungen bei der Redaktion der Standard-Fachkommission des ZDRK registriert worden sind, hat mich diese Anfrage, um es vorsichtig auszudrücken, einigermaßen irritiert. Meine Antwort an den Zuchtfreund bestand nur aus einem Satz, einer Mahnung: „Bitte, übertreibt es nicht!“



    Züchten zwischen Experimentierfreude und Verantwortung

    In der trotz des unverkennbaren Mitgliederrückgangs immer noch großen Schar der Züchterinnen und Züchter im ZDRK gehen die Meinungen über den Sinn und Unsinn von Neuzüchtungen nach wie vor weit auseinander. Viele Züchter halten ihrer einmal gewählten Rasse ein ganzes Leben lang, oft über mehrere Dezennien, die Treue und arbeiten „mit Ausdauer, Geduld, Sachkenntnis und Erfahrung an ihrer Vervollkommnung“ (H. Schmitt, Kaninchenzeitung 13/2005, S. 50), aber es gibt auch eine stattliche Zahl ebenso engagierter Züchter, die einen besonderen Reiz darin sehen, „etwas Neues auszuprobieren“ (ebenda). Seitens der Wissenschaft gehört Prof. Dr. Wolfgang Rudolph zu denen, die seit Jahren auf die „Grenzen der Vielfalt“ hinweisen (z.B. Lehr- und Informationsschrift für Kaninchenzüchtervereine, nachfolgend kurz: „Lehrschrift“, 62/ 2004, S. 59 ff. und 66/2008, S. 93 ff.), er erkennt aber ebenso wie H. Schmitt die besonderen Motive dieser Züchtergruppe an. Genannt werden in den Beiträgen dieser und anderer Autoren Eigenschaften, wie z.B. der persönliche Ehrgeiz, sich als Züchter einen Namen zu machen, Neugier, Experimentierfreude, der Wunsch, durch schöpferisches Handeln den Zwängen des Berufsalltags zu entrinnen, die Freude, selbstständig Ideen zu verwirklichen, aber auch ein wissenschaftlich motiviertes Bestreben, vertiefte Erkenntnisse der Genetik in Anwendung zu bringen.

    So unterschiedlich diese Motive sind, sie sind nicht neu. Zahlreiche sogenannte „alte“ Rassen der Spezies Hauskaninchen, seien sie nun „einheimisch“ wie die Marburger Feh oder „eingeführt“ wie die Weißen Hotot, sind untrennbar verbunden mit Züchternamen, hier Fräulein Sandemann aus Marburg, dort Mme Eugénie Bernard aus Hotot in der Normandie, und mit Entwicklungen, die teils zielorientiert, teils vom Zufall beeinflusst wie folgt beschrieben werden können:

    „Die Herauszüchtung der unterschiedlichen deutschen Kaninchenrassen seit ca. 1850 war zumeist geprägt durch den Vorsatz besondere Formmerkmale oder bestimmte Nutzungseigenschaften zu erzielen. Wurden anfangs die einzelnen Farbausprägungen innerhalb des Rasseziels sekundär behandelt, so wurde später wohl auch auf Grund der größer werdenden Populationen innerhalb der Rassen mehr Wert auf Farbreinheit gelegt. Hierbei wurden dann auch Farbvarianten, die eigentlich einer Rasse zuzuordnen sind, als eigenständige Rassen definiert.“ (B. Große, Alte Haustierrassen, Exposé Heimbuchental, S. 2).

    Andererseits basieren Kenntnisse über andere Rassen, wie Schwarzgrannen oder entsprechende Farbenschläge der Zwergwidder, Farbenzwerge und Rexkaninchen, auf gezielten genetischen Experimenten der Wissenschaftler; man denke an die Dahlemer Weißen von H. Nachtsheim bzw. die Celler Weißen von H. Niehaus. Ein besonders für die heutige Zeit wichtiges Motiv, neue Züchtungen zu präsentieren, zeigt sich bei der explosionsartigen Entwicklung im Bereich der Zwergrassen. Hier spielt der deutlich geringere Platzbedarf dieser Kleinstrassen angesichts der rasanten Verstädterung eine Rolle. Diese Entwicklung kommt aber auch der verä
    nderten Altersstruktur unserer Gesellschaft entgegen. Ein Beispiel: Ein Züchter, der 40 Jahre oder mehr Blaue Wiener gezüchtet hat, kann deren Körpermasse und Düngerproduktion nicht mehr bewältigen; die blauen Zwergwidder oder Farbenzwerge ermöglichen es ihm nun, wenigstens seiner Farbe treu und aktiver Züchter zu bleiben. Mögen emotionale Gründe bei der Herauszüchtung dieser „niedlichen“ Zuchtvarianten die Hauptrolle gespielt haben, ein bisschen Mitverantwortung kann man dennoch dem Beispiel nicht absprechen.

    Verantwortung ist andererseits gefragt, wenn es um den Erhalt der tiergenetischen Ressourcen auch bei unseren Rassekaninchen und um ihre nachhaltige Nutzung geht. So wird Prof. W. Rudolph nicht müde, vor einer „Zersplitterung der züchterischen Arbeit“ zu warnen, weil zu kleine Populationen die Gefahr „genetisch bedingter Defekte“ oder gar des Verlusts positiver Erbanlagen („Gendrift“) in sich bergen, und dazu aufzufordern, „den Genpool und damit auch die genetische Variabilität der Hauskaninchen zu bewahren“ (Lehrschrift 2004, S. 59 und 62; 2008, S. 98). Aus der Sicht der Verantwortungsträger im ZDRK ist hierzu anzumerken, dass die Wissenschaft bisher keine konkreten Zahlen benannt hat und auch wohl nicht benennen kann, bei welcher Populationsstärke eine konkrete Chance besteht, genetische Depressionen, die natürlich immer wieder vorkommen können, durch züchterisches Eingreifen zu verdrängen, und ab wann nicht mehr. Dennoch hat die Standard-Fachkommission in Kenntnis dieser Mitverantwortung vor einigen Jahren Beschlüsse gefasst, die dem ungezügelten Innovationsdrang Einhalt gebieten sollen.

    Der erste Schritt war der Beschluss eines Moratoriums von 5 Jahren, d.h. zwischen 2005 und Ende 2010 keine neuen Neuzüchtungen zuzulassen. Dadurch sollte ein wenig Ruhe und Besonnenheit ins Neuzüchtungsgeschäft einkehren, und das Augenmerk sollte sich auf die in Arbeit befindlichen Neuzüchtungen konzentrieren. Der zweite Schritt war die Verlagerung des Blicks vom Interesse des einzelnen Züchters auf die Verantwortung des Kollektivs. Damit wird sich der nächste Abschnitt eingehender befassen.



    Züchten zwischen Förderung des Individuums und Forderung nach Kooperation
    Bis in die jüngste Vergangenheit war die Geschichte einer Neuzüchtung traditionell mit dem Namen eines Herauszüchters verbunden. Mit dem Antrag auf Zulassung hatte er das Zuchtziel und den Zuchtweg seiner/s neuen Rasse/Farbenschlags theoretisch darzulegen sowie Sinn und Zweck der neuen Spezies im Hinblick auf die Bereicherung des Spektrums zu begründen. Oft hatte er auch schon ein wenig experimentiert und stellte anlässlich einer BKS oder BRS erste Ergebnisse seiner Züchtung vor. Fanden diese Gefallen und erschienen die Darlegungen plausibel, die Theorie fundiert, die Aussichten vielversprechend und der Züchter zuverlässig, wurde ihm die Züchtungs- und Kennzeichnungsgenehmigung im Einverständnis zwischen der Fachkommission und dem zuständigen Landesverband erteilt, natürlich mit der Maßgabe, sich schnellstens um Mitstreiter zu bemühen. Derartige Vorgänge sind heute noch an den gespeicherten Registrierungsdaten abzulesen, und so liegen mir Beispiele vor, wo zwischen der Züchtungsgenehmigung für den Herauszüchter und der für den ersten Mitstreiter 7, 9 oder gar 15 Monate lagen.

    Im Rahmen der BRS in Kassel wurden die Startvoraussetzungen für eine Neuzüchtung neu definiert und inzwischen mehrfach in der Fachpresse und in den Lehrschriften erläutert:

    Wer die Züchtungsgenehmigung erwerben möchte, muss laut Antragsformular nachweisen, „dass sie/er nachweislich entsprechend der Eintragung im Vereinszuchtbuch seit mindestens 5 Jahren in der Seniorenabteilung eine oder mehrere anerkannte Rasse/n züchtet, dass sie/er diese regelmäßig und mit Erfolg ausgestellt hat und dass sie/er hinsichtlich der Buchtenzahl, der Buchtengröße und der züchterischen Erfahrung die Voraussetzungen für eine den Vorschriften des ZDRK entsprechende und tierschutzgerechte Durchführung einer Neuzüchtung erfüllt“. Zugleich sind weiterhin die im ersten Absatz genannten Unterlagen beizubringen zu Sinn und Zweck, zum Zuchtweg und zum Zuchtziel, am besten anhand einer vorläufigen Musterbeschreibung. All dies reicht aber nicht, wenn nicht rechtzeitig und am besten in Koordination mit ihm 4 weitere Zuchtfreunde mit gleichen Voraussetzungen das Gleiche tun. Die mindestens 5 Antragsteller müssen außerdem aus mindestens 3 Landesverbänden kommen.


    Was soll dadurch erreicht werden? Eins ist klar: Diese Regelungen schließen von vornherein ein Einzelkämpfertum aus. Sie zwingen zu Absprachen über die Grenzen des Landesverbandes hinaus und sie laden geradezu zur Zusammenarbeit ein, denn am sinnvollsten ist sicherlich eine Arbeitsteilung und gegenseitige Hilfestellung bei der Erstellung der notwendigen Unterlagen. Und natürlich sind die Bestimmungen angetan, von Beginn an für eine sicherere und breitere Zuchtbasis zu sorgen, denn wer sich bei der Vorbereitung der Antragstellung kennengelernt hat, der ist auch bereit, sich gegenseitig mit Zuchttieren zu unterstützen und erste Zuchterfolge untereinander auszutauschen. Der Slogan könnte heißen: Teamarbeit als Grundlage einer erfolgreichen Neuzüchtung. In meinem Beitrag über die sozialen Kompetenzen in der Rassekaninchenzucht (Lehrschrift 2011) habe ich das folgendermaßen zusammengefasst:

    „Zusammenarbeit in der vorstehend beschriebenen Weise – sei es bei der Zucht etablierter Rassen, sei es bei der Arbeit an einer Neuzüchtung - bedeutet ein ständiges Geben und Nehmen, bei dem jeder Einzelne seine besonderen und oft sehr unterschiedlichen Fähigkeiten zur Verbesserung des Gesamtergebnisses beiträgt.“

    Wem dies alles unzumutbar erscheint, den verweise ich auf den in dieser Lehrschrift abgedruckten Bericht über die Neuzüchtungen in Erfurt und den Bericht über die rhönfarbigen Löwenköpfchen in der Fachpresse (Kaninchenzeitung 15I16/2011). Er wird die erstaunliche Feststellung treffen, dass die Barrieren kaum abschreckend gewirkt haben. Nicht weniger als 9 Teams haben mit Bravour die Hürden genommen. Soweit zu den Startvoraussetzungen. Nachdem wir diese geklärt haben, wenden wir uns nun dem Reifestadium einer Neuzüchtung zu.

    Züchten zwischen „Freiheit“ und genetisch begründeten Zwängen
    In seinem Plädoyer für die Liberalisierung auf dem Gebiet der Neuzüchtungen hat Hermann Schmitt einen Ausspruch des Soziologen von Krockow zitiert: „Vielfalt bedingt Freiheit“ (a.a.O., S. 51). Das ist sicherlich nicht falsch, und in einer multikulturell orientierten Gesellschaft wäre es ziemlich verfehlt, das Streben nach Vielfalt mit negativen Vorzeichen zu versehen. Aber es ist auch bekannt, dass dieses Streben an seine Grenzen stößt, wenn ein gemeinsames und klar definiertes Ziel angestrebt wird. Dann kann ein übertriebenes Streben nach Vielfalt zur Zersplitterung führen und ein eigentlich bereits als gesichert angesehenes Kulturgut, wie die gewachsene Biodiversität, so paradox es klingt, durchaus gefährden. Diese Gefährdung wäre allerdings nur dann wirklich akut, wenn a) bereits schwach verbreitete „alte“ Rassen wegen der Zuwendung zu Neuzüchtungen zu verschwinden drohten und wenn b) bei den Neuzüchtungen selbst kleinsten Populationen als neuen Rassen/Farbenschlägen die Anerkennung zugesprochen würde. Wenden wir uns zunächst dem Letzteren zu.

    Solange eine neue Variante als Neuzüchtung zugelassen ist, unterliegt sie ständiger Kontrolle seitens des ZDRK. Dies ergibt sich aus den Verpflichtungen, die der Züchter/die Züchterin mit dem Erhalt der Züchtungs- und Kennzeichnungsgenehmigung eingeht, insbesondere der Pflicht zur Vorstellung auf Landes- und Bundes-Kaninchenschauen. Die dort ausgeübte Kontrolle wird unter anderem auch daran sichtbar, dass zwei Preisrichter die Zuchtwertprüfung vornehmen – quasi ein Kaninchen-TÜV. Diese Prüfpflicht mittels Doppelkontrolle entfällt, sobald die Anerkennung erfolgt. Nach der Anerkennung hat jeder Züchter, auch der Neuling oder der Jungzüchter, das Recht die Rasse/den Farbenschlag zu züchtenher ist die Entscheidung über die Anerkennung nicht weniger wichtig als die Zulassung zum Anerkennungsverfahren. In Erkenntnis der Tatsache, dass zur Sicherung von Vitalität, Widerstandskraft und Reproduktivität eine gewisse Mindestgröße und Mindestverbreitung einer Population unabdingbar ist, hat die Standard-Fachkommission des ZDRK festgelegt, dass eine Neuzüchtung über den Nachweis der Qualitätsreife hinaus nur dann in den Status einer anerkannten Rasse aufsteigen kann, wenn mindestens 10 Zuchten in mindestens 5 Landesverbänden im Zuchtjahr eine Nachzucht von mindestens 400 Jungtieren im Rahmen der offiziellen Bestandserfassung nachgewiesen haben. Mögen andere Verbände weniger rigide Anerkennungsverfahren haben, die genannten Anforderungen entsprechen dem Selbstverständnis unseres Verbandes. Die Zahlen sind nicht wissenschaftlich begründet, sondern aus der praktischen Erfahrung heraus entwickelt worden und sollten flexibel gehandhabt werden können, wenn es sich lediglich um durch Kombination entstandene Farbenschläge bereits etablierter Rassen handelt. Auch Prof. Rudolph differenziert hier und ordnet im Rahmen der Erhaltung und Förderung des Genpools den „Mutationstypen“ einen höheren Rang zu als den „Kombinationstypen“ (vgl. Lehrschrift 2009, S. 82).


    Kommen wir nun zu dem eingangs des Abschnitts unter a) genannten Aspekt der Gefährdung. In einem früheren Beitrag sah Prof. W. Rudolph einen gewissen Automatismus zwischen den Neuzüchtungen und dem drohenden Verschwinden der „alten“ Rassen: „Die Hinwendung zu immer neuen Farbenschlägen mindert das Engagement, bewährte Rassen zu erhalten.“ (Lehrschrift 2004, S. 62). Dieser Annahme eines gewissen Automatismus kann ich mich allerdings nicht anschließen, sondern sehe eher in einem grundlegenden Wandel der Gesellschaft die Ursachen für ein aktuelles oder zeitweiliges Vernachlässigen bewährter Rassen. Dazu abschließend noch einige Gedanken.


    Züchten zwischen Lust auf Neues und Bewahren des Bewährten
    Auf der Suche nach einer Erklärung für den unvorstellbaren Rummel um die Englischen Widder am Ende des 19. Jahrhunderts und ihr aktuelles Mauerblümchendasein lautete meine vorläufige Antwort, dass die jeweiligen gesellschaftlichen Umstände bei der Wahl der Rasse eine wichtige Rolle spielen, dass der „Zeitgeist“ offenkundig einem ständigen Wandel unterworfen ist und dass er die Entscheidungen von Züchtern und Zuchtbeginnern in dem Maße beeinflussen kann, dass unterschiedliche Trends, ja sogar Moden entstehen (Kaninchenzeitung 20/2009, S. 10/11). Ich wage sogar die These, dass eine Umkehrung des Trends beispielsweise bei den EW oder den schönen Angora mittelfristig weder durch ein komplettes Verbot von Neuzüchtungen, noch durch gut dotierte Fördermittel zu erreichen wäre. Die zentralen Aussagen von Peter Kunzmann (Lehrschrift 2009, S. 65 ff.) habe ich seinerzeit in diesem Zusammenhang referiert:

    In der heutigen Wohlstandsgesellschaft steht der materielle Nutzungsaspekt kaum mehr im Vordergrund des Interesses. Der „Mensch der Moderne“ lebt in der Regel „nicht mehr mit dem Tier, um von ihm zu leben“. Die „reale Veränderung der Mensch-Tier-Beziehung“, gelegentlich als „Kuscheltier-Perspektive“ bezeichnet, beeinflusst massiv nicht nur das gesellschaftliche Image von Rassekaninchenzüchtern, sondern auch die Wahl von Zuchtrassen.“ (ebenda)

    Und ich füge hinzu: Die jeweils aktuelle gesamtgesellschaftliche Befindlichkeit steuert auch die Zuwendung zu bestimmten Züchtungen. Mag in Notzeiten das Sein das Bewusstsein steuern und somit der Trend zu attraktiven und schnellwüchsigen Fleischlieferanten vom knurrenden Magen gesteuert sein, in der Wohlstandsgesellschaft steuert das gesellschaftliche Bewusstsein die Realität der Zucht in andere Richtungen. Vor etlichen Jahren erschienen z.B. die Hasenkaninchen in Weiß attraktiv, weil sie angeblich an den Schneehasen erinnerten; laut Bestanderfassung 2010 wurden in gerade noch 38 Zuchten 551 Nachzuchttiere erzielt. Aktuell sind es die Hasenkaninchen, lohfarbig schwarz, für die im Übergang zur Anerkennung über 100 Zuchten zugelassen sind, von denen 41 Zuchten 666 Nachzuchttiere gemeldet haben. Mit dem „Zeitgeist“ kann man auch den seit Jahren andauernden Rummel um die Löwenköpfchen und die Genter Bartkaninchen bei den Heimtier-Liebhabern in Europa erklären, und bei den Züchtern sieht es seit ihrer Zulassung als Neuzüchtungen im ZDRK, d.h. seit dem Einstieg in das Anerkennungsverfahren nicht anders aus. Binnen Jahresfrist erhielten 23 bzw. 24 Zuchten in 10 bzw. 12 LVs die Züchtungs- und Kennzeichnungsgenehmigung für diese neuen Zuchtvarianten. Was in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation als attraktiv angesehen wird, das ist halt einem beständigen Wandel unterworfen. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren es z. B. mittelgroße Kaninchen mit tief stehender Vorderhand und stark ausgeprägtem Wachstum der Behänge, sprich EW, heutzutage sind es halt schlanke Hasenkaninchen mit dem Outfit der Lohkaninchenzeichnung oder solche im Klein- und Zwergformat, denen die partielle Langhaarigkeit eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Löwenmähne verleiht. Wer aber nach wie vor die mit den Superbehängen attraktiv findet, wird wegen der „Neuen“ niemals die Zucht seiner Englischen Widder aufgeben. Er ist jedoch sozusagen „trendresistent“.

    Die tieferen Gründe für den aktuellen Rückgang bestimmter Rassen, wie z.B. der genannten EW oder Angora, liegen nach meiner Meinung kaum im Run auf Neuzüchtungen. Der enorme Platzbedarf wurde bereits genannt, den Arbeitsaufwand kann man im zweiten Atemzug nennen. Andererseits darf man auch nicht verschweigen, dass in der gegenwärtigen Gesellschaft alles, was NEU ist, einen besonderen Reiz ausübt und dass dieser Trend durch die allgegenwärtige Werbung verstärkt wird. Natürlich kann man durch eigene Werbung gegensteuern und versuchen, durch eine positive Darstellung und besondere Anreize die Motivation zum Züchten vom Aussterben bedrohter Rassen zu steigern. Ansätze derartig orientierter Öffentlichkeitsarbeit hat es ja gegeben. Dennoch glaube ich nicht, dass dies Interessenten von Neuzüchtungen abhalten wird. Es kommt eine Erfahrung hinzu, die ich als „europäische Öffnung“ bezeichnen möchte. Nachweislich ist die Aufnahme der Blauen Holicer und der wildfarbenen Kleinschecken in den Kreis der Neuzüchtungen untrennbar mit der Europaschau in Nitra verknüpft. Aber sind der Wunsch nach Neuem oder der Blick über den „nationalen Zaun“ wirklich etwas Neues? Woher haben denn die Englischen Widder ihren Namen? Sie wurden seinerzeit zu horrenden Preisen aus dem Mutterland importiert.

    Die vorstehenden Gedankengänge dürfen jedoch in keiner Weise dahingehend missverstanden werden, dass ich der Erhaltung der alten Rassen keine Priorität oder etwa keine Chance gäbe. Eine Vielzahl der alten Rassen erfreut sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit und unbeschränkter Verbreitung. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass bei einer Reihe von Rassen einige Farbenschläge laut Gesamtverzeichnis als anerkannt gelten, die seit Jahren nicht mehr auf Ausstellungen anzutreffen waren. Sie sind praktisch schon verschwunden. Für die Erhaltung der aktuellen Potenziale bedarf es also ergänzender Maßnahmen. Wenn das Genpotenzial bestimmter massiv vom Verschwinden bedrohter Rassen als erhaltenswert eingestuft wird und erhalten werden soll, dann sehe ich hierfür nur ein sicheres Verfahren: das Konservieren durch „Tiefgefrierlagerung“. Dieses Verfahren wurde bereits 2004 bei der Vorstellung des „Nationalen Fachprogramms zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen…“ neben der In-situ-Erhaltung als denkbare Alternative erwähnt: „Dies soll sowohl als Lebendpopulation unter den für die jeweiligen Rassen typischen Umwelt- und Haltungsbedingungen erfolgen, als auch in Form eingefrorener, vermehrungsfähiger Zellen… Kryokonservierung...“ (Weigend und Bremond, Lehrschrift 62/2004, S. 67).

    Fazit
    Zuchtlenkende Maßnahmen zur Steuerung von Neuzüchtungen oder zur Förderung der Zucht bedrohter „alter“ Rassen sind eingebunden in ein Geflecht komplexer gesellschaftlicher und verbandspolitischer Zusammenhänge. Die Erfahrung zeigt, dass weder die eine Richtung, noch die andere mittel- oder langfristig effizient steuerbar sind: Zieht man auf dem Hintergrund des in der Einleitung erwähnten aktuellen Zulassungsbooms eine Bilanz, dann könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass weder das fünfjährige Moratorium, noch die Beschlüsse zur Erschwerung der Eingangsvoraussetzungen den „heißen“ Wunsch nach Neuem abgekühlt haben. Ein absoluter Rekord an Registrierungen binnen Jahresfrist legt den Verdacht nahe, dass das Moratorium lediglich den Innovationsfluss aufgestaut hat und dass das Fass zum Überlaufen gekommen ist. Andererseits kommt man auch um die Feststellung nicht herum, dass weder finanzielle Anreize, noch gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu einer deutlichen Verbesserung der Zuchtzahlen bei den gefährdeten Rassen geführt haben.

    Sollte man also von Verbandsseite getrost die Hände in den Schoß legen und die Dinge sich entwickeln lassen, wie es sich halt ergibt? Angewendet auf unser Thema ergibt sich daraus die Folgefrage, ob man überhaupt durch restriktive Handhabung von Neuzüchtungen eine nachhaltige Förderung der alten Rassen erreichen kann, und noch weiter gehend, wem oder wozu das denn eigentlich dient. Lohnt es sich also überhaupt, aus einer Perspektive der Verantwortung heraus steuernd einzugreifen?

    Hier komme ich auf die einleitend zitierte Züchterfrage zurück. Sie macht deutlich, wie unbegrenzt theoretisch und praktisch die Möglichkeiten sind, durch Kombination unterschiedlichster Anlagen Neues auf den Züchtermarkt zu bringen. Überschlägig berechnet ergeben sich Zahlen möglicher Varianten, die sich gegenwärtig ohne eine neu auftretende Mutation in Bereichen um die Zigtausende bewegen. Auf dem Hintergrund schrumpfender Mitgliederzahlen könnte sich daraus der Slogan ergeben: Jedem Züchter seine Spezies. So weit, so gut, wenn da nicht die eindeutigen Erkenntnisse der Forschung wären, dass kleine und kleinste Populationen in hohem Maße die Gefahr genetischer Drift in sich tragen (vgl. z. B. W. Rudolph, Lehrschrift 2008, S. 97/98). Oder konsequenter ausgedrückt: Weitestgehende Zersplitterung würde das Ende der Rassekaninchenzucht bedeuten. Deshalb werde ich nicht müde, an die Vernunft der Züchter zu appellieren, wie ich es kürzlich in einem Beitrag für die Internetseite der AG der Hermelin- und Zwergkaninchenclubs getan habe:

    „Der Berichterstatter kann sich nicht enthalten, den Züchtern der Farbenzwerge mit der schönen Mantelzeichnung an dieser Stelle ein paar warnende Worte auf den Weg zu geben. Nachhaltig zu warnen ist vor einer zu starken Verzettelung. Sicherlich gibt es noch viele weitere Farbenschläge, die theoretisch möglich wären. Man braucht nur bei den Zwergwiddern nachzuschlagen, wo bereits sage und schreibe 14 Farbenschläge allein mit Mantelzeichnung anerkannt sind. Nach meiner Auffassung täten die Freunde der Farbenzwerge mit Mantelzeichnung sehr gut daran, die beiden Farbenschläge, die ab dem Zuchtjahr 2013 anerkannt sind und ab dem 1.10.2012 in der Allgemeinen Abteilung ausgestellt werden dürfen, nämlich die Blau-weißen und die Schwarz-weißen, zu festigen und weiter zu verbreiten und sich in der näheren Zukunft bei den Neuzüchtungen auf die drei zugelassenen Farbenschläge zu konzentrieren, nämlich die wildfarben-weißen, die havannafarbig-weißen und die rot-weißen Farbenzwerge, um diese mittelfristig ebenfalls als anerkannte Farbenschläge im Standard zu etablieren. Alles andere wäre, so fürchte ich, Harakiri.“

    An diese Mahnung erinnere ich, obwohl ich selbst Züchter rhönfarbiger Löwenköpfchen bin, also einer Neuzüchtung. Ich bekenne mich aber auch dazu, weil ich sie - wie so viele unorganisierte Kaninchen-Liebhaber – sehr attraktiv finde und weil ich hoffe, mittelfristig über diesen Weg neue Züchterinnen und Züchter für die organisierte Rassekaninchenzucht gewinnen zu können, sobald qualitativ und quantitativ die Anerkennungsreife erreicht und die Anerkennung erteilt worden sein wird. Die gegenwärtige Entwicklung gibt zu dieser Hoffnung Anlass.
    Wir bedanken uns bei dem ZDRK-Präsidium, dem HK-Verlag und bei Walter Hornung für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Das Copyright für den Text liegt bei dem ZDRK. Wir weisen nochmals ausdrücklich darauf hin, das die Bilder, Texte und Grafiken bestimmten Rechten unterliegen, und das wir Copyrightverletzungen strafrechtlich verfolgen lassen werden.

    (C) 2012 Rassekaninchenzuchtforum e.V.

  • ich habe mal ne frage warum ist mein Banner in diesem Artikel? Davon wusste ich garnichts...


    Zitat

    Wir bedanken uns bei dem ZDRK-Präsidium, dem HK-Verlag und bei Walter Hornung für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Das Copyright für den Text liegt bei dem ZDRK. Wir weisen nochmals ausdrücklich darauf hin, das die Bilder, Texte und Grafiken bestimmten Rechten unterliegen, und das wir Copyrightverletzungen strafrechtlich verfolgen lassen werden.


    und das ist dann wohl ein scherz....

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